Digitale Transformation und die Erkenntnisse aus der COVID-Krise als Chance zur Bekämpfung des Mangels an Frauen in Führungspositionen?

In unserer Reihe „Frauen in Führungspositionen“ haben wir uns mit Tanja Dreilich, Group Chief Financial Officer and Managing Director bei Constantia Flexibles Holding Group, unterhalten. Frau Dreilich studierte Wirtschaftswissenschaftlerin erlangte ihren Executive MBA an der WHU in Vallendar und der Kellogg Business School in Chicago (US). Ihre Karriere startete sie bei der Adam Opel AG. Bei General Motors hatte sie verschiedene Managementpositionen in Rüsselsheim, Zürich und Detroit inne. Nach ihrer Position als CFO und Mitglied der Geschäftsleitung der Nordzucker AG in Braunschweig wurde Tanja Dreilich 2012 Finanzvorstand und später alleiniger Vorstand und CEO der Nemetschek AG in München und führte das Unternehmen in den TecDAX. 2014 übernahm sie die Funktion als Geschäftsführerin und CFO der KIRCHHOFF Ecotec GmbH und wurde 2017 Geschäftsführerin und Group-CFO der KIRCHHOFF Gruppe.

Frau Dreilich, was bedeutet es für eine Frau eine Vorstandslaufbahn zu verfolgen?

Eine Position in der obersten Führungshierarchie eines großen internationalen Unternehmens hat einen massiven Einfluss auf das gesamte Lebenszeitmanagement und erfordert deshalb ein hohes Maß an Selbstmanagement und Organisationsmanagement. Jede Frau, die festgelegt hat, dass sie beruflich viel erreichen will, weiß dass ihr Job die höchste Priorität hat und fordert. Dazu gehört dann ein professionelles Zeitmanagement für das Privatleben, Mann und Familie. Ich kenne verschiedene Frauen in C-Level-Positionen, die keine Kinder haben und die sich dazu auch aus beruflichen Gründen entschieden haben. Zumindest vor 15 Jahren ließen sich Familie und Karriere in einem internationalen Industrieunternehmen kaum miteinander vereinbaren. In der Regel hat ein Mann es in der Regel ein bisschen einfacher, da seiner Lebenspartnerin traditionell die ganze familiäre Logistik zugeordnet wird, und zwar spätestens, wenn ein Mann in einer höheren Position mit höherem Status tätig ist. Eine Frau hingegen kann diese Logistik-Leistung in der Regel nicht von Ihrem Partner erwarten und bringt deshalb ein höheres Selbstmanagement- und Zeitmanagementvermögen ein. Es gibt hierzu ermutigende alternative Beispiele, aber diese sind derzeit nicht der Regelfall. Eine Vorstandsposition erfordert in der Regel ein hohes Arbeitspensum das klar priorisiert ist mit einem hohen Maß an Delegation, sehr viel Flexibilität zu Perspektivenwechseln und vor Corona zu internationalen Reisetätigkeiten, den Willen kontinuierlich weiter zulernen und die Souveränität basierend auf Fakten und Erfahrung die richtige Lösung unter vielen Alternativen zu erkennen und effizient umzusetzen.

Kann die Pandemie, durch Digitales Arbeiten oder auch unser Verständnis von Arbeit, dazu beitragen Frauen zu entlasten und Ihnen den Zugang zu Managementfunktionen erleichtern?

Virtuelles Arbeiten erleichtert sicherlich für Frauen auch den Zugang zu Management Funktionen, weil ein höheres Maß an Flexibilität und Agilität in der Arbeitsleistungserbringung ermöglicht wird. Wird aus dem Home-Office gearbeitet, wird die professionelle Arbeitsteilung, die eine Büroumgebung ermöglicht, ausgehebelt. Schon drängen sich die Logistikleistungen eines Haushalts wieder in den Vordergrund und die Organisationsaufgabe, die mit dem Büro und der Kantine als gelöst galten, stellen sich wieder. Meine persönliche Arbeitsorganisation basiert auf Spezialisierung und Arbeitsteilung. Dafür kaufe ich mir Service-Leistungen ein, die aber im Lockdown zum Teil nicht zur Verfügung stehen.

Gerade die im Lockdown erfolgten Schulschließungen, sowie Schließungen der Kindergärten erschweren es Frauen sich flexibel im Beruf zu positionieren. Der Rückstand in den Bildungseinrichtungen vom Kindergarten bis zur Universität, die meist über keine professionellen, modernen virtuellen und vernetzten Lernplattformen verfügen, ist untragbar für ein Bildungsland mit Innovationsanspruch. Frauen und Familien benötigen effiziente Rahmenbedingungen, um Familie und Beruf modern und zukunftsorientiert besser miteinander vereinbaren zu können.

 

Frau Dreilich Sie sind seit vielen Jahren als erfolgreiche Vorständin tätig und haben sogar als Allein Vorständin das Unternehmen Nemetschek in den TecDax geführt. Jedoch scheint es so, dass für Frauen der Weg in Vorstandsfunktionen verriegelt ist. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Sicherlich ist der Weg in eine Top-Funktion allgemein schwierig und durch Wettbewerb und Selektion, gutem Track-Record und hohem persönlichen Einsatz gekennzeichnet, für Männer wie auch für Frauen, wenn man gleiche Kompetenzen und Qualifikation unterstellt.

Der Zugang zu den Entscheidungsnetzwerken von Top-Positionen bleibt entscheidend, um auf eine Short-List zu kommen, da nur ein Teil der Top-Positionen über Headhunter allokiert wird.

Aus eigener Erfahrung habe ich miterlebt wie Frauen für Top-Erfolge nicht die öffentliche Anerkennung und mediale positiv-Darstellung wie die männlichen Kollegen erhalten und sie besser – auch als CEO – unter dem Radar fliegen. Ich habe mich oft gefragt, warum soll eine kompetente Frau ihre Erfolge nicht zeigen und über die Erfolge berichten, die sie mit ihren Teams für ihr Unternehmen und alle Stakeholder erzielt hat und weiter erzielt, damit sie sich für ihren nächsten Karriereschritt auch weiterempfehlen kann und sichtbar wird. Als ich CEO und CFO und damit Alleinvorstand der Nemetschek Gruppe wurde, ich habe in Schule und Studium drei Programmiersprachen gelernt, mich schon immer für künstliche Intelligenz interessiert und Produkt Development bei General Motors und Opel gelernt, war für mich das Führen eines Software-Unternehmens in den TecDAX innerhalb von 17 Monaten ein klar strukturiertes Projekt mit verschiedenen Meilensteinen, das von meinen Teams und Stakeholdern gewollt und mitgetragen wurde und unter meiner Führung effizient umgesetzt wurde. Das Unternehmen war zehn Jahr lang zuvor im Prime-Standard gelistet. Ich wurde danach vielfach von Headhuntern gefragt, wie ich das geschafft habe, so schnell eine klar Unternehmensstrategie und deutliche EBITDA-Margenverbesserungen auf- und umzusetzen. Ich hatte den Eindruck ich muss mich dafür rechtfertigen, dass ich als Frau einen Software-Konzern als CEO und CFO erfolgreich gemanaged und in so kurzer Zeit in den TecDAX geführt habe. Auch wurde ich gefragt, ob ich das mit einem anderen Unternehmen wiederholen könne – natürlich kann ich den Erfolg mit einem anderen Unternehmen wiederholen.
In den letzten zwei Jahren hat sich die mediale Sichtbarkeit für Frauen in Führungspositionen deutlich erhöht.

In Frankreich, Dänemark, Schweden, Norwegen und den USA zum Beispiel ist das Thema Frauen in Führungsfunktionen deutlich weiterentwickelt. Es ist in diesen Ländern gesellschaftlich anerkannt, dass Frauen in Führungspositionen positiv wirken und „Value“ für das Unternehmen und die Gesellschaft erzeugen. Diese gesellschaftliche Akzeptanz fehlt in Deutschland zum Teil noch und eine mögliche Gesetzesinitiative der Bundesregierung, ein solch externer Stimulus, scheint nötig, um mehr Diversität zu fördern. Das ist sehr schade, denn auch ich bin ein großer Freund unternehmerischer Freiheit.

Untersuchungen wie z.B. von der Financial Times zeigen, dass Unternehmen mit gemischten Führungsstrukturen bessere Ergebnisse und höhere Aktienkurse erzielen und auch besser von den Shareholdern bewertet werden.
Auch beginnen internationale Investoren eine Mindest-Diversität von Unternehmen einzufordern.

Wie sehen Sie die aktuelle Rolle von weiblichen Führungskräften in Vorständen?

Die unternehmerischen Rahmenbedingungen haben sich in den letzten 12 Monaten katalysiert durch die Corona-Pandemie dynamisch hin zu mehr Unsicherheit und Volatilität entwickelt. Die neuen Technologie- und Serviceoptionen, Markt- und Kundenverhaltensänderungen, der klare Trend zu Sustainability hat zum Teil die Disruption von bestehenden Geschäftsmodellen gefördert.

Um in dieser komplexen Gemengelage den optimalen Entscheidungspfad für sein Unternehmen zu finden, zu überprüfen und effizient umzusetzen, sind neue Talentkombinationen und nicht nur homogene Talentteams gefragt.  Diese Notwendigkeit sein Unternehmen neu auszurichten wird auch die Chancen für top qualifizierte Frauen in Führungspositionen erhöhen.

Wenn man sich die Entwicklung von weiblichen Vorständen und Geschäftsführern in großen deutschen Unternehmen ansieht, haben erfreulicherweise Frauen in CFO Positionen zugenommen.
Schaut man sich die letzten Jahre an, hat man zum Teil den Eindruck eine deutsche Frau mit hervorragender Qualifikation und Track-Record reicht nicht aus, sie muss dann gleich weitere Diversitätskriterien erfüllen und z.B. einer anderen Nationalität angehören.

In den vergangenen Monaten hat das Thema Frauen in Führungsfunktionen wieder Fahrt aufgenommen. Allerdings ist es auch nicht immer einfach weibliche Führungskräfte für verschiedene Funktionen zu gewinnen. Denken Sie, dass durch die aktuelle Debatte wie auch die Nennung von Role-Models wie Ihnen, mehr Frauen auch ermuntern werden, den „nächsten Schritt“ zu wagen?

Ja, ich bin überzeugt, dass Role-Models hier eine Orientierung bieten können. Ich sehe es auch bei meiner Tätigkeit als Mitglied des Prüfungsausschusses zur Auswahl von Kandidatinnen und Kandidaten für Bachelor und MBA-Studiengänge der WHU. Neben den üblichen formalen Zulassungsvoraussetzungen und Tests mit erstklassigen Zensuren werden die Kandidatinnen und Kandidaten im Interview nach ihren Zielen und Ambitionen befragt. Da hört man häufig von jungen Frauen, 18 – 19 Jahre jung, klare Zukunftsziele und Visionen, z.B. dass sie einmal VW-Vorstandsvorsitzende oder Bundeskanzlerin werden möchten. Diese jungen Frauen gehen voller Elan und Begeisterung ins Studium und schließen ihr Examen auch erstklassig ab. Warum dann relativ wenig dieser top ausgebildeten Frauen im Top-Management deutscher Unternehmen auftauchen, hängt derzeit noch daran, dass diese Frauen ein klares Organisationsmodell für ihre persönliche Karriere definieren und im privaten Bereich umsetzen müssen und ihnen der Zugang zu den Entscheidungsnetzwerken für Top-Positionen meistens noch fehlt.

Wie sieht es in Ihrem Unterbau, das heißt auf der zweiten Führungsebene, aus?

In den Unternehmens-Bereichen, die mir unterstellt sind, achte ich drauf, dass potente Frauen ihre Chance auf eine Führungsposition bekommen. Ich bin davon überzeugt, dass nur ein Unternehmen mit exzellentem Management aller auch unterschiedlicher Talente seine Wettbewerbsfähigkeit im Markt erhalten kann.

Was muss passieren, dass wir es schaffen, dass es zur Normalität wird, diverse Teams in den Führungsebenen deutscher Unternehmen zu haben?

Es muss die Akzeptanz der gesamten Gesellschaft, der Aufsichtsräte, Vorstände und Geschäftsführer, Investoren, aller Stakeholder und der Politik erreicht werden, dass Frauen in Top-Führungspositionen eine Normalität sind. Eine Quote kann hierzu beitragen, aber es müssen auch andere Maßnahmen, z.B. die Verbesserung des digitalen Bildungs-Ecosystems umgesetzt werden, damit mehr Frauen ihre Talente bestmöglich für die Unternehmen und die Gesellschaft in Top-Positionen einbringen können.

 

Wir bedanken uns an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich bei Frau Dreilich für Ihre Kooperation und das interessante Gespräch.