DB Netz AG – ein Treiber von Diversität in Führungsfunktionen

 

Digitale Transformation und die Erkenntnisse aus der COVID-Krise als Chance zur Bekämpfung des Mangels an Frauen in Führungspositionen?

Im Rahmen unserer Interview-Reihe zu Frauen in Führungspositionen haben wir uns mit Marion Heber, Leiterin Führungskräfteentwicklung und -betreuung, Führungsinstrumente der DB Netz AG in Frankfurt am Main, sowie Isabelle Ramroth,  Expertin Führungskräfteentwicklung ebenfalls bei der DB Netz AG, zu den aktuellen Bestrebungen der DB, die Zahl der Frauen in Führungsposition deutlich zu erhöhen, unterhalten. Konkret plant die DB, bis 2024 den Frauenanteil im Management auf 30 Prozent zu steigern und so die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern weiter voranzubringen.

Die Deutsche Bahn hat sich das Ziel gesteckt, den Anteil an Frauen in Führungspositionen auf 30 Prozent zu steigern. Ist hierbei die Digitale Transformation und das „neue“ Arbeiten im Home-Office, wie wir es in den letzten Monaten kennengelernt haben, ein zusätzlicher Anreiz?

Isabelle Ramroth: Tatsächlich ist festzustellen, dass es Corona-bedingt zu einem Digitalisierungsschub in deutschen Unternehmen kam. Dies und der vermehrte Einsatz von Arbeitnehmer*innen im Home-Office hat meines Erachtens zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf beigetragen. Aber auch diese Entwicklung ist nicht ganz unkritisch zu sehen. Mit Ausbruch der Corona-Pandemie wurden viele Arbeitnehmer*innen im März letzten Jahres von einem auf den anderen Tag nach Hause geschickt und die Arbeit ins Home-Office verlagert. Eltern mit Kindern hatten dabei mit der zusätzlichen Herausforderung zu kämpfen, dass sie, da auch Kindergärten und Schulen geschlossen wurden, Arbeit und Kinderbetreuung miteinander vereinbaren mussten. Immer wieder liest man – und dies entspricht auch meinem Eindruck –, dass es häufig die Mütter waren und sind, die von dieser Doppelbelastung betroffen sind. Der Digitalisierungsschub und das vermehrte Arbeiten im Home-Office haben also durchaus zu einer Flexibilisierung der Arbeit beigetragen, gleichzeitig sehen sich aber Eltern, und vor allem Mütter mit der zusätzlichen Herausforderung konfrontiert, neben der Arbeit von zu Hause auch die Betreuung ihrer Kinder zu koordinieren und schulpflichtige Kinder beim Home-Schooling zu unterstützen.

Sie sagen, dass langfristig eine gleichberechtigte Aufgabenteilung von Männern und Frauen auch im häuslichen und familiären Bereich stattfinden muss. Müssen wir deutlich früher ansetzen, um die „Blockade“ durch klassische Rollenbilder aufzubrechen?

IR: Ich denke, langfristig werden wir dies tatsächlich nur erreichen können, wenn wir frühzeitig ansetzen. Dabei sehe ich sowohl jede Familie im Einzelnen in der Pflicht, bei der Kindererziehung gegen veraltete Rollenbilder und Geschlechterklischees anzukämpfen, als auch die Gesellschaft als solche. Die Gleichberechtigung von Männern und Frauen ist ein immens wichtiges kulturelles Thema, bei dem schon viele Erfolge erzielt wurden, das aber bei weitem noch nicht abgeschlossen ist. In einem Experiment von der MullenLowe Group wurden beispielsweise Kindergarten-Kinder mit verschiedenen Geschlechterklischees und klassischen Rollenbildern konfrontiert. Gegenstand war unter anderem, dass es bestimmte Berufe gibt, die eher als „Männer-Berufe“ eingeordnet werden und für die Frauen als ungeeignet gelten, zum Beispiel der Feuerwehrmann. Dies zeigt, dass sich bereits im jungen Alter solche Vorurteile in den Köpfen der Mädchen und Jungen festsetzen und man gar nicht früh genug damit anfangen kann, dagegen anzukämpfen. Trotz alldem was im Hinblick auf das Thema Gleichberechtigung der Geschlechter bereits erreicht wurde, haben wir also noch einen langen Weg vor uns. Aber klar ist: Ein hoher Frauenanteil ist nicht nur aus Gründen der Gleichberechtigung geboten, sondern zahlt sich auch als Wettbewerbsvorteil aus. Als Unternehmen kann es sich die DB nicht leisten, das Potenzial von 50 Prozent der Bevölkerung zu verschenken! Obwohl sich die DB in einer stark technikorientierten Branche mit vielen traditionellen Männerberufen, zum Beispiel in der Instandhaltung, im Ingenieurswesen, in der IT oder in der Logistik bewegt, gibt sie sich nicht mit einem Frauenanteil von gut 23 Prozent an der Gesamtbelegschaft zufrieden.

Ein weiteres Thema ist auch, dass bei der Besetzung einer Stelle mit weiblichen Bewerbern eines gewissen Alters zumindest unterschwellig häufig die Überlegung mitschwingt, dass die Bewerberin schwanger werden und ausfallen könnte, bei männlichen Bewerbern im gleichen Alter spielt die Überlegung, ob diese zeitnah eine Familie gründen wollen, jedoch für die Einstellungsfrage in der Regel keine Rolle. Was sind hier, ihrer Ansicht nach, sinnvolle Ansätze, um dem entgegenzuwirken, zum Beispiel, indem man Modelle entwickelt, um solche Ausfallzeiten zu kompensieren?

IR: Mit einer Kombination aus flexiblen Beschäftigungsbedingungen, individueller Karriereförderung, gezielter Ansprache von Bewerberinnen sowie der Weiterentwicklung der Unternehmenskultur fördern wir in der DB zielgerichtet Frauen. Eine gute und effektive Möglichkeit solche Ausfallzeiten zu kompensieren ist beispielsweise der Einsatz von Interims Managern oder Managerinnen – zumindest auf Managementebene. Dabei setzt man für die Dauer des Mutterschutzes und der Elternzeit, junge Nachwuchskräfte, die sich innerhalb des Unternehmens bereits bewiesen haben, als Vertretung ein. Für diese stellt die Zeit ihres Einsatzes als Interims Manager*in eine gute Übung dar, um festzustellen, ob eine solche Position für sie interessant und geeignet ist.

Was halten Sie Unternehmer*innen und Unternehmen, die ein solches Interims-Management-Modell noch ablehnen, entgegen?

Marion Heber: Auch hier gilt: Es muss früher angesetzt werden. Unternehmer*innen und Unternehmen muss klar sein, was mangelnde Diversität gerade in wirtschaftlicher Hinsicht für ein Unternehmen bedeutet. Mittlerweile wurde in mehreren Studien nachgewiesen, dass Unternehmen mit einem diversen Vorstand – wobei sich „divers“ in diesem Zusammenhang nicht nur auf das Geschlecht bezieht – wirtschaftlich erfolgreicher sind. So sind sie auch auf die Themen der Zukunft, unter anderem die Digitalisierung, stärker vorbereitet und können Herausforderungen besser meistern. Es liegt im Interesse jedes Unternehmens, sich möglichst breit und zukunftsorientiert aufzustellen. Dabei kann man das Thema „Diversität“ nicht länger ausblenden. Aus diesem Grund haben wir als DB Netz AG es uns zur Aufgabe gemacht, hier als gutes Beispiel voranzugehen und die Themen „Diversität“ und „gleichberechtigte Teilhabe“ voranzutreiben.

Das ThemaDiversität“ hat viele Facetten. Wie beurteilen Sie die verschiedenen Diversitätsfaktoren, unabhängig von dem Thema Frauen?

IR: Grundsätzlich belegt die Forschung, dass Unternehmen, die eine größere Anzahl an Menschen mit unterschiedlichen kulturellen und gesellschaftlichen Hintergründen sowie Bildungsständen beschäftigen, flexibler auf Herausforderungen und Veränderungen reagieren können. Jeder bringt seinen eigenen Blickwinkel und eigene Denkansätze mit ein. Teams, die divers aufgestellt sind, sind – wie viele Studien bewiesen haben – produktiver und finden kreativere Lösungsansätze. Aus meiner Sicht ist es daher für Unternehmen heutzutage essenziell divers aufgestellt zu sein – gerade auch auf Vorstandsebene. Gesellschaftlich gesehen muss man die genannten Vorteile von Diversität immer wieder aufzeigen und durch Fakten belegen, um ein Umdenken zu erreichen.

MH: Ich würde das gerne noch ergänzen: Bei der aktuellen Diskussion wird immer wieder vergessen, wie die Realität in unserer Gesellschaft aussieht. Wenn man sich in den Städten und auf den Straßen umschaut, merkt man schnell: Unsere Gesellschaft ist bereits divers. Das Negieren der tatsächlichen Diversität unserer Gesellschaft führt uns nicht weiter. Solange wir immer noch so tun, als würde Deutschland hauptsächlich aus weißen männlichen „Deutschen“ bestehen, wird der Fortschritt ausbleiben.

Vor allem in technischen Berufsgruppen, die immer noch als „klassische Männerdomäne“ gelten, scheint es schwierig, eine ausreichende Menge an qualifizierten Bewerberinnen zu finden. Wie wollen Sie hier die Einhaltung ihres gesetzten Ziels von 30 Prozent gewährleisten?

IR: Der Konzernvorstand hat bereits Anfang 2013 beschlossen, dass bei Auswahlprozessen von Führungspositionen mindestens eine geeignete Bewerberin berücksichtigt werden muss. Sollte konzernintern keine Frau gefunden werden, die den fachlichen sowie formalen Anforderungen der Vakanz entspricht, wird eine externe Suche durch Personalberater und Ausschreibungen angestoßen. Darüber hinaus müssen noch weitere verschiedene Ansatzpunkte gewählt werden. Nicht zu unterschätzen ist dabei die Positionierung des eigenen Unternehmens als attraktiven Arbeitgeber. Auf den konkreten Fall bezogen heißt das: es muss uns als DB Netz gelingen, Bewerberinnen davon zu überzeugen, dass sie bei uns gefördert werden und ihnen die gleichen Chancen wie ihren männlichen Kollegen eingeräumt werden. Dies gilt im gleichen Maße für die Gewinnung von Nachwuchs- wie von Führungskräften. Dabei können wir nicht nur auf altbewährte Konzepte und Medien zurückgreifen, sondern müssen Neues wagen, beispielsweise durch entsprechende Kommunikation auf den sozialen Netzwerken. Daneben sind es aber auch die vermeintlich kleinen Dinge, die einen großen Unterschied machen können: beispielsweise nicht nur nach einem „Leiter“ zu suchen, sondern ausdrücklich auch die weibliche Form zu verwenden und in der Stellenausschreibungen mit dem Bild einer Frau zu werben.

MH: Insgesamt muss man auf mehreren Feldern aktiv werden. Wichtig sind z.B. Außenauftritt, Kommunikation, Beschäftigungsbedingungen, attraktive Job-Rotations-Modelle, Interim Management und das Anbieten von Schulungen zu sogenannten „Unconscious Bias“, das heißt unbewussten Rollenbildern und Geschlechter-Stereotype. Wir veranstalten außerdem sogenannte „Diversity-Wochen“, in denen wir bestimmte Vorurteile aufzeigen und aufzubrechen versuchen. Letzten Endes gibt es nicht die eine wirksame Maßnahme, sondern es ist eine Mischung aus verschiedenen Maßnahmen, die den Unterschied macht.

Handelt es sich bei der Geschlechter-Quote um eine langfristige Lösung oder kann das nur eine kurzfristige Maßnahme sein, um ein ganzheitliches Umdenken anzustoßen?

MH: Es handelt sich um eine temporäre Maßnahme, die erforderlich ist, um die aktuelle Situation zu durchbrechen und eine langfristige Verbesserung des Status-Quo zu erreichen. Es erscheint mir höchst unwahrscheinlich, dass in den vergangenen 30 Jahren Männer grundsätzlich besser dafür geeignet waren Vorstandspositionen zu besetzen als Frauen. Ich erhoffe mir, dass die Zielgröße in den nächsten fünf bis sechs Jahren zu einem gesamtgesellschaftlichen Umdenken, was die Qualifikation von Männern und Frauen angeht, führt. Danach wird man weitersehen und gegebenenfalls noch einmal überdenken müssen, ob eine prozentuale Vorgabe immer noch erforderlich und zielführend ist – oder ob die gesellschaftliche Entwicklung diese nicht zwischenzeitlich überholt hat. Letzteres würde ich mir sehr wünschen.

Welchen Beitrag kann denn jeder Einzelne auf der einen Seite sowie Politik und Gesellschaft auf der anderen Seite dazu leisten, dass es zur Normalität wird, dass Frauen genauso wie Männer Karriere machen, ohne die Doppelbelastung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf tragen zu müssen?

IR: Jeder kann, meiner Meinung nach, einen Beitrag dazu leisten, andere für das Thema zu sensibilisieren und mit bestehenden Vorurteilen aufzuräumen. Dies gilt auch und gerade auf Führungsebene. Insbesondere bei der Suche nach neuen Mitarbeitenden muss man sich immer wieder bewusst machen, welche Stereotype bestehen und inwieweit diese tatsächlich auf Fakten beruhen. Ebenfalls ist die Verwendung von gender-neutraler Sprache in der internen und externen Kommunikation eine essenzielle Maßnahme. Ganz allgemein muss man sich immer wieder die folgenden Fragen stellen: Wie divers ist ein Unternehmen bzw. sind die Teams innerhalb des Unternehmens aufgestellt? Was ist der Hintergrund der Mitarbeitenden, die dort beschäftigt sind? Was sind die Chancen und Herausforderungen, die sich daraus ergeben? Dabei darf nicht vergessen werden, dass auch Teams, die nur aus Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft bestehen, durchaus divers sein können. Entscheidend ist jeder und jede Einzelne, da jeder von uns unterschiedliche Voraussetzungen mitbringt!  

Haben Sie bei der DB beobachtet, wie dieses Thema insgesamt ankommt, also die Bestrebungen mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen bzw. insgesamt mehr Diversität im Unternehmen zu schaffen, zumal sie bereits sehr divers aufgestellt sind?

IR: Wir können natürlich nur für unser Geschäftsfeld sprechen. Dort ist die Resonanz sehr positiv. Beispielsweise haben wir – d.h. der Vorstand der DB Netz AG – im Rahmen der jährlichen „Diversity-Woche“ einen Brief an alle Mitarbeiter*innen der DB Netz AG gesendet, indem der Vorstand bekräftigte, dass Vielfalt ein wichtiges Element für den Erfolg und die Zukunftsfähigkeit unseres Geschäfts ist. Die Rückmeldungen, die wir dazu erhalten haben, waren durchweg positiv und haben uns in unserem Vorgehen bestätigt.